Grabstein

49.86487, 8.25288
Kirschgartenstraße 5, 55278 Selzen, Deutschland

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Grabstein

49.86487, 8.25288
Ca. 1. Jahrhundert n. Chr. bis 2. Jahrhundert n. Chr.

In Selzen steht eine Replik eines römischen Grabsteins. Das Werk des Nackenheimer Bildhauers Rainer Knußmann steht auf einem Platz an der Ecke Gaustraße/Kirschgartenstraße und wurde durch die drei Selzer Volker, Ehefrau Annemarie und Schwester Helga Schätzel gestiftet, die hierzu Spenden gesammelt hatten. Die Einweihung der Replik erfolgte am 11. September 2005.[1] Der Originalgrabstein befindet sich heute im Landesmuseum Mainz. Er wurde 1935 während der Selz-Regulierung westlich der Brücke am Bahnhof Hahnheim-Selzen mit weiteren Grabsteinen gefunden. Wagenspuren auf einigen der Steine lassen darauf schließen, dass diese zur Bildung einer Furt über den Fluss zweitverwendet wurden. Die Steine werden in das 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. datiert.[2]

Die Replik des Grabsteins in Selzen.
Die Replik des Grabsteins in Selzen.

Insgesamt handelt es sich um acht Grabdenkmäler – zwei davon waren noch nahezu vollständig erhalten, die anderen sechs nur fragmentiert. Die beiden vollständigen Grabsteine gehören beide zum Typus der Familiengrabsteine und werden in die Mitte des 1. Jahrhunderts, in die Zeit des römischen Kaisers Claudius (41 bis 54 n. Chr.) datiert.[3] Der erste Grabstein, der hier näher beschrieben werden soll, ist der von dem die Replik angefertigt wurde:

Der Grabstein zeigt einen sitzenden Mann mit Hund, flankiert von zwei Frauen. Die Frau zur Linken ist vermutlich die Ehefrau des Mannes. Die kleinere Frau soll wohl die Tochter des Ehepaars darstellen. Unter den Personen befand sich eine Inschrift, die aber vollständig verloren ist. Auch der obere Teil des Grabsteins ist stark beschädigt.

Der Originalstein im Landesmuseum Mainz.
Der Originalstein im Landesmuseum Mainz.

Die Darstellung der Verstorbenen zeigt die Vermischung keltischer und römischer Traditionen. Während die Ehefrau noch einheimische Kleidung trägt, hat die Tochter bereits die Mode der Römer übernommen. Der Mann ist zwar auch schon römisch gekleidet, aber noch traditionell keltisch sitzend dargestellt. Wir haben also eine von der römischen Mode beeinflusste, keltische Familie vor uns. Bereits die Tatsache, dass sie überhaupt einen Grabstein in Auftrag gegeben hat, geht auf römisches Vorbild zurück.

Der Grabstein weißt stilistisch eine hohe Übereinstimmung mit Grabdenkmälern aus der gleichen Zeit auf, die in Mainz-Weisenau gefunden wurden. Der bekannteste Fund aus diesem Komplex ist der Grabstein des Blussus und seiner Frau Menimane im Landesmuseum Mainz. Möglicherweise wurden diese Grabdenkmäler somit alle in derselben Werkstatt gefertigt. Die Darstellungsform der sitzend und stehend dargestellten Personen in Muschelnischen und die Ausarbeitung der Gewänder sprechen dafür.[4]

Auch der zweite vollständig erhaltene Grabstein stellt eine Familiendarstellung mit stehenden und sitzenden Personen in einer Muschelnische dar. Eine Herstellung in der gleichen Mainzer Werkstatt liegt nahe. Der Grabstein ist auf der reliefierten Vorderseite stark beschädigt und weist auf der Rückseite tiefe Wagenspuren auf. Somit lag er wohl mit der Reliefseite nach unten im Bachbett. Neben der Darstellung eines Mannes und einer Frau mit (wahrscheinlich) deren Tochter auf der Vorderseite sind hier auch die Seiten bearbeitet. Dargestellt sind tanzende Figuren aus der römischen Mythologie. Auf der rechten Seite eine mit möglicherweise einer kleinen Amazone.[5]

Zwei in diesem Kontext gefundene Fragmente können ebenfalls dem Typus des Familiengrabsteins zugeordnet werden. Eines dieser Fragmente gehört zur Darstellung einer sitzenden Frau, das andere ist eine mit zwei stehenden Figuren – einer Frau und einem Mann – die auf Höhe des Ellbogens der Frau und des Knies des Mannes schräg abgebrochen ist.[6] Die beiden Figuren dieser Nischenstele sind im Gegensatz zu den beiden vollständig erhaltenen Grabsteinen nicht als Einheimische, sondern als römische Bürger dargestellt. Der Mann, der sich auf einem Großschild (scutum) abstützt, wird als Soldat stilisiert, die Frau ist mit einer römischen Palla gekleidet. Die gemeinsame Darstellung der Ehegatten spricht für einen Veteranen oder hohen Offizier, der eine rechtmäßige Ehe eingehen durfte. Die Stele wurde wahrscheinlich früher als die anderen gefertigt, möglicherweise in tiberischer Zeit (Tiberius römischer Kaiser 14 bis 37 n. Chr.).[7]

Die weiteren gefunden Fragmente zählen nicht zum Typus der Familiengrabsteine, bzw. können teilweise aufgrund ihrer Beschädigungen nicht eindeutig einem Stiltyp zugeordnet werden. Ein stark abgenutztes Relief gehört zum rechten Teil einer weiteren Nischenstele, auf der ganzfigurig ein stehender Mann in Toga und Calcei, dem typischen römischen Schuhwerk, dargestellt ist. Wahrscheinlich war auf der nicht mehr vorhanden, linken Seite der Stele seine Frau dargestellt. Datiert wird diese Stele in die erste Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts.[8] Bei einem weiteren Fragment handelt es sich um die rechte Kante eines reliefierten Grabsteins. Dargestellt ist wahrscheinlich ein Hund und eine Kline, also eine Ruheliege, auf der eine Person lag. Ganz links unten erkennt man die Reste eines Tischbeins, ganz rechts die Reste des Ellbogens der liegenden Person. Sollte diese Interpretation zutreffen, würde es sich hier um eine Totenmahldarstellung handeln.[9] Ebenfalls wurde der rechte Teil eines Grabsteins mit Reliefnische gefunden. Die teilweise erhaltene Inschrift lässt sich wie folgt lesen: D(is) M(anibus) | [-] ANVS | [–] FILIS | [—] ILI. Durch die epigraphische Formel dis manibus lässt sich dieser Grabstein frühestens in flavische Zeit (69 bis 96 n. Chr.) datieren.[10] Ein weiteres im selben Fundkontext gefundenes Inschriftenfragment wurde als oberer Teil einer Grabstele identifiziert. Die erste Inschriftenzeile ist nahezu vollständig erhalten, die zweite fragmentarisch: SUTTA CANTI | Lii f(ilius? La?) ANII. Hans Klumbach übersetzte die Inschrift wie folgt: Sutta, Sohn (oder Tochter) … des Cantilius. Sutta kann dabei sowohl ein männlicher, als auch ein weiblicher Name sein. Deshalb ist auch die Vervollständigung der zweiten Inschriftenzeile unsicher.[11]

Neben diesen in der Selz gefunden Grabsteinen gab es im 20. Jahrhundert noch weitere römische Funde in der Gemarkung von Selzen. Auf der Gemarkungsgrenze von Schwabsburg und Selzen wurden auf einem Feld 1975 bei Pflugarbeiten zwei römische Grabkisten gefunden, die Glasurnen, Henkelkrüge, Terra Sigillata und Firmalämpchen enthielten. Durch die Keramikreste werden die Gräber ins 2. bis 4. Jahrhundert n. Chr. datiert.[12] Bereits einige Jahre zuvor, 1969, wurden im Gewann „In den Sauerwiesen“ römischer Bauschutt und Ziegelfragmente gefunden, die eine villa rustica an dieser Stelle vermuten lassen.[13] Ein Jahr später fand man nördlich des Ortes Lämpchen sowie Glas- und Keramikscherben aus römischer Zeit.[14] Hinweise auf zwei weitere Gutshöfe wurden zum einen nordöstlich des Ortes in den Gewannen „Auf dem Kleinfeld“ und „Langenbach“ gemacht. Hier wurden unterirdische Mauerreste aus römischer Zeit und römische Münzen gefunden. Zum anderen fand man auf einem Acker westlich des Ortes in Richtung des Selzufers Hinweise auf eine villa rustica. Unterhalb der Gewann „Auf dem Sand“ wurde außerdem ein römisches Brandgrab entdeckt.[15]

Verfasser: Lutz Luckhaupt

[1] Schätzel, Volker: Der keltische Römerstein. Selzen bekommt ein neues Denkmal. In: Heimatjahrb. Landkr. Mainz-Bingen 50 (2006), S. 75.

[2] Klumbach, Hans: Römische Grabsteine von Selzen (Rheinhessen). MZ 31 (1936), S. 33-39, hier S. 33.

[3] Böcher, Otto: Selzen. Ein geschichtlicher Überblick. In: 1200 Jahre Selzen. Jubiläumsbuch zur 1200-Jahrfeier der Weinbaugemeinde Selzen. Nierstein 1982, S. 21-33 hier S. 22. Siehe auch Boppert, Walburg: Zivile Grabsteine aus Mainz und Umgebung. Corpus Signorum Imperii Romani. Deutschland II, 6 (Mainz 1992), S. 60-63.

[4] Boppert, S. 60. Siehe auch Klumbach, S. 36-37.

[5] Boppert, S. 61-62.

[6] Boppert, S. 63 und 67. Hans Klumbach stellte die Theorie auf, dass das Fragment der sitzenden Frau zu dem zweiten vollständig erhaltenen Grabstein gehörte. Siehe dazu Klumbach, S. 36. Walburg Boppert hält dies für unwahrscheinlich. Siehe dazu Boppert, S. 63.

[7] Boppert, S. 68.

[8] Boppert, S. 72.

[9] Ebd., S. 76.

[10] Ebd., S. 77.

[11] Klumbach, S. 39. Siehe auch Boppert, S. 101.

[12] Stümpel, S. 297.

[13] Müller-Wille / Oldenstein, S. 298.

[14] Ebd.

[15] Marschall, S. 9.

Literatur

  • Böcher, Otto: Selzen. Ein geschichtlicher Überblick. In: 1200 Jahre Selzen. Jubiläumsbuch zur 1200-Jahrfeier der Weinbaugemeinde Selzen. Nierstein 1982, S. 21-33.
  • Boppert, Walburg: Zivile Grabsteine aus Mainz und Umgebung. Corpus Signorum Imperii Romani. Deutschland II, 6 (Mainz 1992).
  • Klumbach, Hans: Römische Grabsteine von Selzen (Rheinhessen). MZ 31 (1936), S. 33-39.
  • Marschall, Bernhard: Die erste Besiedelung von Selzen. In: Selzen. Geschichte und Geschichten einer Selztalgemeinde. Zusammengetragen von Bernhard Marschall. Selzen 2007, S. 9-10.
  • Müller-Wille, Michael / Oldenstein, Jürgen: Die ländliche Besiedlung des Umlandes von Mainz in spätrömischer und frühmittelalterlicher Zeit. Ber. RGK 62 (1981), S. 261-316.
  • Schätzel, Volker: Der keltische Römerstein. Selzen bekommt ein neues Denkmal. In: Heimatjahrb. Landkr. Mainz-Bingen 50 (2006), S. 75.
  • Stümpel, Bernhard: Bericht des staatlichen Amtes für Vor- und Frühgeschichte Mainz für die Zeit vom 1. Januar 1974 bis 31. Dezember 1975. MZ 71/72 (1976/77), S. 248-305.