Georgskapelle

50.00167, 8.11618
2428+MF Ingelheim am Rhein, Deutschland

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Georgskapelle

50.00167, 8.11618
Ca. erste Hälfte 1. Jahrhundert n. Chr. bis Mitte 5. Jahrhundert n. Chr.

Die St.-Georgs-Kapelle aus dem 10. Jahrhundert ist die alte Pfarrkirche für Heidesheim und vielleicht auch Walsheim (Heidenfahrt). Sie wurde auf den Fundamenten des Hauptgebäudes eines römischen Gutshofes (villa rustica) errichtet. Die überdachte Außenmauer ist eine erhaltene Mauer jenes Gebäudes aus dem 1. Jahrhundert n. Chr.

Die Georgskapelle liegt außerhalb von Heidesheim direkt an der A60.
Die Georgskapelle liegt außerhalb von Heidesheim direkt an der A60.

Der Gutshof wurde an der Straßenkreuzung eines alten Weges vom Rhein zum Höllenberg und einer römischen Straße in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts errichtet. Bereits im 2. Jahrhundert wurde die Villa repräsentativer ausgebaut. Spätestens in der Mitte des 5. Jahrhunderts wurde der Gutshof aufgegeben. Diese Nutzungsdauer der Villa lässt sich auch am Fundmaterial nachweisen, wie beispielsweise anhand der Verzierung der gefundenen Terra Sigillata oder einer Münze aus der Zeit des Theodosius (oströmischer Kaiser 379 – 394, gesamtrömischer Kaiser September 394 – Januar 395). Beim Bau der unmittelbar neben der Kapelle verlaufenden Autobahn 60 wurde das zu dem Gutshof gehörende Gräberfeld angeschnitten. Die Datierungen der dort gemachten Funde bestätigen diesen Zeitraum.[1] Entlang der Niederterrasse des Rheins gab es eine Vielzahl dieser Gutshöfe, da das Gebiet trotz des damals anderen Verlaufs des Stroms als hochwassersicher galt.

Etwa 200 Jahre später ließen sich die Franken um die Reste der Villa nieder und nutzten die Ruinen zunächst als Begräbnisstätte. Diese Nutzung ist auch bei anderen Gutshöfen zu beobachten. Möglicherweise haben die römischen Ruinen in der Übergangszeit zum Mittelalter zeitweise die Rolle von Dorfkirchen übernommen, bis diese gebaut waren. Es fand also eine Umwidmung von profanen Bauten zu christlichen statt.[2] Im Laufe des 7. Jahrhunderts wurde eine erste Kirche an dieser Stelle erbaut, um 960 mit einer Apsis erweitert und im Spätmittelalter so ausgebaut, wie sie heute zu sehen ist. Das Laufniveau der ersten frühmittelalterlichen Kirche war noch auf dem römischen Estrich, in den zunächst Gräber eingefasst wurden, die man mit Deckplatten verschloss. Beim Umbau in ottonischer Zeit wurde durch eine geschlossene Mörtelschicht das Laufniveau erhöht und man stellte die Beisetzungen innerhalb der Kirche ein. Bei diesem Umbau wurden römische Steine als Spolien verwendet. So sind im Bogen vor dem Chor im Inneren reliefierte Steine aus römischer Zeit erkennbar. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird von der Villa oberirdisch nichts mehr zu sehen gewesen sein, da die Steine als Baumaterial abgetragen worden waren.[3]

Der Innenraum der Georgskapelle (Förderverein St. Georgskapelle Heidesheim e.V.).
Der Innenraum der Georgskapelle (Förderverein St. Georgskapelle Heidesheim e.V.).

Doch warum gab es diesen 200-jährigen Abschnitt, in denen sowohl römisches als auch mittelalterliches Fundmaterial fehlt? Haben die Germanen nach dem Ende des Einflusses des römischen Reiches in unserer Region die Villa kontinuierlich weiter genutzt, und wenn nicht, warum nicht? Diese bekannte Forschungsfrage nach der Kontinuität von Antike und Mittelalter versuchte der Arbeitsbereich für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der Universität Mainz in den vergangenen Jahren durch Geoprospektion und Georadar zu Klären. Bekannt ist, dass die einheimische Bevölkerung zu Beginn des Mittelalters weiter in Holzbauweise baute, da dies billiger als die Errichtung von Steinbauten war und auch wesentlich schneller ging. Der niedrigeren Haltbarkeit der Holzgebäude war man sich bewusst. Das technische Know-How zur Instandhaltung von Steingebäuden wie beispielsweise der Villa Rustica in Heidesheim war durch die unterschiedliche Bauweise lokal einfach nicht umfassend vorhanden und auch nicht finanzierbar. Die Archäolog:innen und Studierenden der Universität Mainz versuchten somit frühmittelalterliche Grubenhäuser auf dem Areal der Georgskapelle nachzuweisen. Der Nachweis von Mauerwerk war durch das Vorhandensein eines römischen Gutshofes nicht weiter verwunderlich. Eine gefundene Mauerstruktur weicht aber eindeutig von der räumlichen Orientierung der Villa Rustica ab. Datieren lässt sich diese Struktur leider nicht, sie kann also auch neuzeitlich oder sogar vorrömisch sein. Oberflächenfunde von einer Vielzahl von Stein-, Ziegel- und Schieferfragmente im südlichen Bereich des Areals lassen vermuten, dass dort vermutlich einmal etwas war, aber auch hier ist eine Datierung sehr schwierig. Die Unterscheidung von merowingerzeitlichen Grubenhäusern und römischen Kellern ist ohne Funde von eindeutig datierbarem Material wie beispielsweise Keramik, Münzen oder Werkzeugen leider nur sehr schwer möglich. Die Frage zu einer kontinuierlichen Besiedlung des Bereichs der Georgskapelle von der Antike ins Frühmittelalter ist also nach aktuellem Erkenntnisstand nicht zu klären.

Bis ins Hochmittelalter war die Georgskapelle die Pfarrkirche von Heidesheim, bis sie im 13. Jahrhundert durch die Kirche St. Philippus und Jakobus im Ortskern abgelöst wurde. Die Georgskapelle wurde daraufhin zur Wallfahrtskapelle.[4] Nach ihrer Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg wurde sie wieder aufgebaut und diente in der französischen Zeit Heidesheim erneut kurzzeitig als Pfarrkirche. In den 1980er Jahren wurde der Plan gefasst, die Georgswallfahrt wiederzubeleben und im Zuge dessen die in dieser Zeit bereits jahrelang ungenutzte Georgskapelle umfassend zu restaurieren. Bereits seit spätestens Ende des 19. Jahrhunderts wusste man von römischen Spuren im Bereich der Kapelle und nutzte diese Gelegenheit für umfassende archäologische Untersuchungen.[5]

Der Grundriss der Villa (Förderverein St. Georgskapelle Heidesheim e.V.).
Der Grundriss der Villa (Förderverein St. Georgskapelle Heidesheim e.V.).

Die Außenmauern der Kapelle bestehen zu Teilen noch aus dem Originalmauerwerk des Haupthauses der römischen Villa. Unter einem Schutzdach ist heute noch eine bis zu vier Meter hohe Originalmauer aus römischer Zeit zu sehen. An manchen Stellen dieser Mauer ist der typische rote Fugenstrich um die Bruchsteine herum sogar noch gut erkennbar. Dabei handelt es sich um eine Schmuckform, die von Weitem aussieht wie Quadermauerwerk. Es handelt sich um Kalkbruchsteine mit Mörtel als Fugenfüllung, in den dann ein roter Strich mit dem Finger hineingedrückt wurde. Der Grundriss der Villa Rustica weist auf den Typus der Portikus-Risalit-Villa hin, also einem Hauptgebäude mit hervorstehenden Gebäudeteilen. Der hintere Gebäudeteil war in eine Vielzahl von Räumen gegliedert. Die Kapelle wurde unmittelbar auf den Fundamenten des vorderen Gebäudeteils mit dem westlichen Eckrisalit erbaut. So schließen die westliche, nördliche und südliche Mauer der Kapelle deckungsgleich mit den Außenwänden des westlichen Eckrisaliten der Villa ab, was eine enorme Bauerleichterung beim Kirchenbau im Mittelalter bedeutet haben muss, da man die Mauerreste nutzen konnte. Eine genaue Erforschung des hinteren Gebäudeteils und der östlichen Seite des vorderen Teils ist in absehbarer Zeit kaum möglich, da dieses Gelände um die Kapelle herum heute landwirtschaftlich genutzt wird.[6] Der im Spätmittelalter angebaute Chor reicht in die Portikus, einem Säulengang, der die hervorstehenden Gebäudeteile in den Ecken verband. Ein Innenhof oder großer Zentralraum ist ebenfalls nachweisbar. Bei Ausgrabungen im Inneren der Kapelle wurde im Bereich des Zugangs der Villa ein römerzeitlicher Brunnen entdeckt, dessen Eisenabdeckung noch heute im Inneren der Kapelle zu sehen ist. Als der Brunnen gefunden wurde, war er noch mit Wasser gefüllt, in dem sich Eichenholzverfüllungen erhalten haben, die dendrochronologisch auf 50 bis 60 n. Chr. datiert werden konnten. Diese frühe Datierung lässt die Vermutung zu, dass es vor dem Gutshof an gleicher Stelle bereits einen Vorgängerbau gab.

Unter dem Schutzdach ist das römische Mauerwerk noch gut erkennbar.
Unter dem Schutzdach ist das römische Mauerwerk noch gut erkennbar.

Wie andernorts auch, wurden die Reste des Gutshofes in der Frühen Neuzeit als Steinbruch für andere Bauten verwendet. Somit wurden fast alle oberirdischen Reste der Villa abgetragen – außer natürlich den in der Kapelle verbauten. Bei Grabungen wurden nördlich und östlich der Georgskapelle noch Fundamentmauern, Estrichböden, Keramik, Wandverputz, sowie Dach- und Wandziegel gefunden.[7]

Der Bau eines Kirchengebäudes auf den Resten einer Villa Rustica ist ein verbreitetes Phänomen im ländlichen Raum. Der Mainzer Archäologe Ronald Knöchlein sieht in diesem Fall der Georgskapelle, bei der ein Kirchenbau aus dem Hauptgebäude einer Villa Rustica hervorgegangen ist – also eine Anknüpfung an römische Vorgaben in frühmittelalterlicher Zeit –, einen in Rheinhessen und darüber hinaus vorkommenden Situationstyp und nennt mehrere Beispiele aus der Region.[8] Eine Kontinuität der Besiedlung von der Antike ins Mittelalter kann man daraus nicht schließen, aber der Bau einer Kirche lässt zumindest auf eine Wiederbesiedlung schließen, die allerdings zu Beginn auch nicht zwangsläufig der Mittelpunkt einer Siedlung gewesen sein muss. Der Bau einer Kirche kann aber als „Startschuss“ für eine Wiederbesiedlung verstanden werden. Die in Rheinhessen öfter vorkommende Wüstwerdung solcher Siedlungen um römische Überreste und anschließender Verlegung eines mittelalterlichen Dorfes zeigt, dass in der Antike geschätzte Siedlungsplätze nicht zwangsläufig auch die favorisierten Siedlungsplätze in mittelalterlicher und neuzeitlicher Zeit gewesen sein müssen, da sich die Anforderungen an einen solchen Platz verändert hatten.[9] Nicht weit entfernt wurde vor einigen Jahren die Villa Rustica in Hedenesheim, der Vorgängersiedlung des heutigen Stadecken, gefunden. Die dortige, heute nicht mehr vorhandene Martinskirche wurde ebenfalls auf einer Villa Rustica erbaut und auch dort sind Bestattungen aus dem Frühmittelalter nachweisbar. Wie in Heidesheim wurde auch die Martinskirche noch lange als Pfarrkirche genutzt, obwohl das Dorf nach der Gründung von Stadecken nicht mehr unmittelbar daneben lag.

Verfasser: Lutz Luckhaupt

[1] Rupprecht, S. 383.

[2] Knöchlein 2004, S. 148-149.

[3] Ebenda, S. 143.

[4] Ebenda, S. 141.

[5] Ebenda.

[6] Ebenda, S. 141-143.

[7] Bayer, S. 171.

[8] Knöchlein 2004, S. 141. Eine Aufzählung der Orte, an denen dieser Situationstyp in der Region vorliegt, liefert er auf S. 150-156.

[9] Knöchlein 2004, S. 143-145.

Literatur

  • Bayer, Heinrich: Die ländliche Besiedlung Rheinhessens und seiner Randgebiete in römischer Zeit. MZ 62 (1967), S. 125-175.
  • Knöchlein, Roland: Die Georgskapelle bei Heidesheim, Kr. Mainz-Bingen. Ein Situationstyp? In: Graenert, Gabriele [u.a.] (Hrsg.): Hüben und drüben. Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift für Prof. Max Martin zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag. Liestal-CH 2004 (= Archäologie und Museum, Bd. 48), S. 141-156.
  • Rupprecht, Gerd: Heidesheim. Gutshof. In: Cüppers, Heinz (Hrsg.): Die Römer in Rheinland-Pfalz. Stuttgart 1990, S. 383.